Wahrheit – und warum man darum nicht streiten kann

Über Beweis, Wahrnehmung und das, was bleibt

Wahrheit - Und warum man darum nicht streiten kannWenn Menschen miteinander streiten, geht es selten um das, was passiert ist, sondern um das, wie sie es erlebt haben. Die Wahrheit, auf die sich alle einigen sollen, existiert in der Regel nicht. Es gibt nur Perspektiven – und jede davon ist wahr für die Person, die sie erlebt. Niemand kann wirklich wissen, wie sich der andere fühlt oder was genau er oder sie wahrgenommen hat.

In der Justiz wird Wahrheit rekonstruiert. Es gibt Beweise, Zeugenaussagen, Indizien – eine Beweisaufnahme. Sie dient dazu, einen Sachverhalt so objektiv wie möglich festzustellen, damit der Richt ein Urteil fällen kann.

Doch auch die Justiz weiß: Absolute Wahrheit ist unerreichbar. Deshalb sprechen Gerichte auch nie von „der Wahrheit“, sondern von der „Überzeugung“ des Tatrichters.

📌 Die juristische Wahrheit – eine Annäherung durch Beweise
Das Recht braucht Festlegung. Es muss entscheiden, wer verantwortlich war, wer haftet, wer entschädigt wird. Wahrheit wird hier berechnet, gewogen, verhandelt. In tatsächlich zweifelhaften Fällen begnügt sich der Richter mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (grundlegend: BGHZ 53, 245, 256 – Anastasia).

📌 Die persönliche Wahrheit – eine Annäherung durch Akzeptanz
Im menschlichen Miteinander funktioniert das anders. Niemand lässt sich überzeugen, indem man ihm beweist, dass er Unrecht hat. Menschen ändern ihre Haltung erst, wenn sie sich verstanden fühlen. Wahrheit entsteht hier nicht durch Beweise, sondern durch Beziehung.

📌 Gemeinsame Wahrheit – eine Annäherung durch Zuhören
Wenn beide Seiten bereit sind, die Erfahrung des anderen gelten zu lassen, entsteht ein Raum jenseits des Streits. Es geht nicht mehr darum, wer recht hat, sondern was beide erlebt haben. Diese Art Wahrheit ist leiser – aber verbindender.

Fazit: 💡

Wahrheit ist keine Waffe, sondern ein Spiegel. In der Justiz sucht man sie mit Paragrafen, in Beziehungen mit Empathie. Streiten lohnt sich nur, wenn man am Ende besser versteht, nicht, wenn man gewinnt.